Sonntag, 5. Februar 2012

Hannes Müller - mehr als ein Rhetorik-Trainer


Anlass meines ersten Eintrages in den Blog "Zielklarheit" ist der Tod einer sehr beeindruckenden und für viele prägende Persönlichkeit: Hannes Müller, Rhetorik-Trainer. 

In seinen 30 Jahren als Rhetorik-Trainer hat er bei vielen Führungspersönlichkeiten nachhaltige Spuren hinterlassen, wie wohl nur wenige dies schaffen können. Denn seine Trainings waren eben mehr als nur ein Rhetorik-Seminar. Ein Fernseh-Moderator notierte in das Kondolenz-Buch über seine Begegnung mit Hannes Müller: "Das war kein Rhetorik-Training, sondern eine Lebensschule."  

Berührend und beeindruckend die zahlreichen Einträge in sein Kondolenzbuch: Hannes Müller hat Spuren hinterlassen.



Nachruf für Hannes Müller
In der Nacht von Montag auf Dienstag des 18./19. Januars ist Hannes Müller, langjähriger Freund und Rhetorik-Trainer, nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Hannes Müller hat, als Schauspieler und Regisseur (u.a. am Burgtheater in Wien), Dozent am renommierten Internationalen Opernstudio des Opernhauses Zürich (IOS), letztlich in seinem Beruf als Rhetorik-Trainer seine wahre Berufung gefunden. 

Die Arbeit mit Führungskräften, das Fördern und Entwickeln der individuellen Potenziale hat Hannes Müller immer gereizt, aber auch gefordert. Seine direkte Art war vielleicht nicht immer jedermanns Sache. Wer sich aber seinen Merksatz „Rhetorik ist ein Kampfsport“ zu Herzen nahm, spürte seine unnachgiebige Leidenschaft für ein ehrliches, nicht geheucheltes und konstruktives Feedback. Halbe Sachen? Nicht bei Hannes Müller. 

Auch nach 30 Jahren als Rhetorik-Trainer war für ihn jedes seiner Seminare neu, das Interesse an seinen Teilnehmern ungebrochen und sein Wissensdurst ungestillt. Hannes Müller war immer mehr als „nur“ Rhetorik-Trainer. Nicht selten hat er auch im Anschluss an seine Seminare die Teilnehmer freundschaftlich mit Tipps begleitet und sich über manche persönliche Rückmeldung nach einem erfolgreichen Referat, einer begeisternden Präsentation gefreut. Ich weiss von zahlreichen seiner Teilnehmer, welche noch Jahre nach der Seminar-Teilnahme die Präsenz von Hannes Müller bei jedem ihrer Auftritte „gespürt“ haben, so als würde er neben ihnen auf der Bühne stehen. 

Hannes Müller war ein verlässlicher Freund und intelligenter Gesprächspartner. Seine Professionalität, seine breitgefächerten Interessen und sein fundiertes Wissen suchen ihresgleichen. Ich bin dankbar, Hannes Müller begegnet zu sein: Leidenschaft, wacher Geist, engagierte Gespräche, markige Sätze, kraftvolle Metaphern. Danke!
Thalwil, 18. Januar 2012, Christophe Soutter


Ich hatte nebst vielen Gesprächen mit Hannes Müller auch die Gelegenheit mit ihm ein Gespräch über Rhetorik zu führen. Sein fundiertes Wissen und seine klaren Aussagen zu Rhetorik sind lesenswert - und, wie zahlreiche Feedbacks zeigen, auch umsetzbar:

Reden ist ein öffentlicher Denkprozess
Ein Gespräch mit dem Rhetorik-Trainer Hannes Müller
Was muss ein Redner beachten, damit seine Rede erfolgreich wird?
Reden Sie frei – nur so können Sie Ihren Gedanken freien Raum geben. Die Rhetorik, wie auch die Bühne, will dem Text neue Dimensionen erschliessen, den Text interpretieren. Nur ein lebendiger Text wirkt. Was da von Kanzeln, in Hörsälen, Symposien zelebriert wird, ist meist Friedhof. Die «Rednerbühne» ist programmatisch gestaltet, Rednerpult mit Blumenarrangements wie bei einer Aufbahrung. Wollen Sie Ihre Gedanken zu Grabe tragen, dann verbergen Sie sich hinter einem solchen «Mumiensarg». Zeigen Sie möglichst wenig von sich. Maskieren Sie Ihre Sprache. Verwenden Sie einen hochtrabenden, komplizierten Fachjargon. Verbrämen Sie das dünne Surrogat mit einer Orgie von Substantivierungen.

Wie wichtig ist die Sprache?
Stimmt die Sprache nicht, haben Ihre Gedanken keinen Biss. Bilden Sie schlanke Hauptsätze. Raus mit dem Firlefanz. Klar muss Ihre Sprache sein.

Gibts noch weitere Elemente einer guten Rede?
Vor allem muss ein Redner von sich und seinen Ideen überzeugt sein. Der Redner ist der «Fleisch gewordene Gedanke.» Er baut den geistigen Raum, in dem das Publikum seine eigenen Gedanken und Phantasien weiterspinnen kann.

In Ihren Seminaren verwenden Sie den Spruch: «Rhetorik ist ein Kampfsport».
Rhetorik will wirken – will bewirken. Das Publikum muss am Ende der Präsentation reicher sein, innerlich einen Weg gegangen sein. Wenn nicht, haben Sie was falsch gemacht. Wer andere bewegen will, muss selbst bewegt sein. Wie in der Schule: Die Lehrerpersönlichkeit zieht mich rein in den Stoff. Plötzlich bin ich gefangen, plötzlich macht mir das Lernen Spass. Macht mir das Lernen Spass, geht auch was rein ins Hirn. Spass ist das magische Wort.Ich erinnere mich an Vorlesungen, da sassen Hörer aller Fakultäten drin. Sicher, der Stoff war interessant, das Ereignis aber war der Professor. Beispiele, Apercus, Witz, Situationen, ein Reichtum von sinnlichen Elementen machen den Text lebendig. Die Gegenwelt kennen Sie: Das Publikum wird stundenlang malträtiert von einem gediegenen Langeweiler, der Bedeutung zelebriert. Kein Mensch ist gekommen um zuzuhören, wie ein Text schlecht vorgelesen wird, ohne Ausdruck, mit toten Augen. Die Sakkoknöpfe dieser Redner haben mehr Ausdruck als ihre Augen. Interessant: In der anschliessenden Diskussion wird plötzlich aus einer Papiermilbe ein Mensch mit Emotionen. Plötzlich moduliert die Stimme, die Augen leben, der Körper reagiert mit ausdrucksstarker Gestik.Stört Sie der Referent beim Nachdenken, wehren Sie sich. Zeigen Sie ihm, dass Sie sich langweilen. Stehen Sie auf und verlassen Sie den Raum, in dem Gedanken zu Grabe getragen werden.

Muss der gute Redner ein guter Schauspieler sein?
Der Redner darf nicht schauspielern. Übrigens, kein guter Schauspieler «schauspielert». Das unterscheidet ihn von der «Schmiere». Der echte Schauspieler identifiziert sich so mit seiner Rolle, dass der Rollentext sein Text wird. Diesen Text entwickelt er in jeder Vorstellung neu. Genauso entwickelt der Redner seine Gedanken in einem stetigen innern Dialog mit dem Auditorium. Reden ist öffentliches Denken.

Welche Bedeutung hat die optische Unterstützung eines Vortrages?
Alle optischen Hilfsmittel sind Konkurrenten, sind Energiefresser. Das hab ich auf der Bühne gelernt: Sei sparsam mit optischen Reizen! Weg mit dem Ornament. Der Redner muss wirken, nicht die Dekoration, oder das Logo am Rednerpult. Textfolien sind gefährlich. Sie kennen die Redner, die ihre Sentenzen nochmals wie ein warnendes Menetekel auf der Leinwand erscheinen lassen. So versuchen sich impotente Redner abzusichern: «wenn die schon nicht zuhören, dann lesen sie es wenigstens.» Keine billigen Cartoons und Figuren aus dem Softwareprogramm amerikanischer Massenkultur. Wer sich hinter Charts versteckt, verliert seine Persönlichkeit. Persönlichkeit muss ständig gelebt werden, sonst verkümmert sie. Seien Sie eigenwillig – seien Sie ein Original.

Wie «original» darf ein Redner sein?
Die Konvention ist der Todfeind der Rhetorik. Antiquierte Anreden, all das «möchte» und «würde» verschleiert die Wirkung. Das Gegenargument ist immer wieder: mein Auditorium wünscht diese Formeln und Rituale. Quatsch! Das Publikum will gepackt werden – in interessante Gedankengebäude entführt werden – nichts anderes.

Das Notenblatt ist nicht die Musik. 
Das Textbuch ist nicht das Drama. 
Das Manuskript ist nicht die Rede.

Denken Sie öffentlich – reden Sie frei!